Am 20. Dezember 1846 wurde auf dem Gut Schöneberg bei Goldap in Ostpreußen (heute Rostek, Polen) ein Mädchen namens Dorothea Emilie Bertha Weiß geboren. Sie war die zweite Tochter des Gutsbesitzers, Friedrich Hermann Weiß und seiner Ehefrau Mathilde, geb. Settegast. Als Bertha zwei Jahre alt war, starb ihr Vater und hinterließ seine Witwe mit 2 Jungen und zwei Mädchen. Sein Erbe reichte nicht für den Unterhalt und die Erziehung der Familie aus und so ging die Mutter nach Polen und hinterließ ihre Kinder in der Obhut ihrer Verwandten. In Polen starb sie nur 7 Jahre später. Damit war der Grundstein für Berthas bewegtes Leben gelegt. Zeitungen werden ihr später viele Namen geben. So wurde sie „die Famose“, „die Abenteuerin“, „das Mann-Weib“, „die Amazone“ oder „die berüchtigte Landstreicherin Bertha Weiß“ genannt.
Bertha war bei der Schwester ihrer Mutter und ihrem Ehemann, einem Rechtsanwalt in Ragnit, untergebracht und blieb dort acht Jahre. Sie besuchte von 1854 bis 1862 die Schule der Stadt. Sie genoss dadurch eine gute Schulbildung und Erziehung und wurde in ihrem Stand gefestigt. Als auch ihr Onkel verstarb, verließ das jetzt 16-jährige Mädchen das Haus und wurde Gesellschafterin auf einem Gutshof. Da ihr die Arbeit nicht zusagte, verließ sie den Hof und begab sich nach Königsberg. Dort wollte sie im Krankenhaus der Barmherzigkeit den Beruf der Krankenpflegerin erlernen. Die ersten fünf Monate unterhielt sie sich selbst, dann gingen ihr die Mittel aus. Zudem bekam sie eine Krankheit. Nach der Genesung musste sie ihre Ausbildung aufgeben und wandte sich in ihrer Not an ihre Verwandten, um Unterstützung zu erhalten.
Diese wiesen sie aus unbekannten Gründen ab, und so war die junge Frau, die ursprünglich in einem guten Elternhaus geboren wurde, in Armut und Elend gezwungen. Über das, was sie in dieser Zeit erlebte und was in ihr vorging, kann man heute nur spekulieren. Sicher ist jedoch, dass sie durch die Verluste in der Kindheit und ihre bevorstehende Existenznot bis hierher kein einfaches Leben hatte. Dieses brachte sie wahrscheinlich dazu, einen ungewöhnlichen Weg zu gehen.
1864 schloss sich die gerade erst 18-jährige Frau einem Leinwandhändler an und zog von Königsberg aus mit ihm durch das ganze Land. Vermutlich um sich zu schützen und gewisse Vorteile zu haben, kleidete sie sich nun als Mann und benutzte den Namen Hermann Settegast. Vielleicht kann hier aber auch schon von einer transgenderischen Neigung gesprochen werden.
Nur ein Jahr später, des Umherziehens müde, fand sie eine Beschäftigung als Knecht im Dienst beim Handelsmann Günther in Scholitz bei Delitzsch. Bei ihrer Tätigkeit als Knecht, warf sie im Wald ein brennendes Streichholz fort und löste einen Brand aus. Obwohl dieser schnell und ohne Schaden gelöscht werden konnte, wurde sie wegen fahrlässiger Brandstiftung angeklagt und zu 14 Tagen Gefängnis verurteilt. Nachdem bei der Untersuchung ihr wahres Geschlecht entdeckt wurde, trat sie wieder als Frau auf und nahm eine Stellung als Dienstmagd bei einem Kalkulator in Delitzsch an. Diese Beschäftigung führte sie auch weiter fort, als der Kalkulator nach Wittenberg versetzt wurde.
Am Anfang des Jahres 1867 ging sie zu ihrem Onkel, dem Justizrat Weiß, nach Danzig. Obwohl es nun so aussah, als ob sie einen festen Stand im Leben gefunden hatte, trieb sie die Abenteuerlust, die innere Unruhe, ein gewisser Leichtsinn oder sogar ein innerer Zwang dazu, heimlich ihr neues Zuhause zu verlassen und mit verschiedenen Hausierern als Holzwarenträgerin umherzuziehen.
Anfang 1869 gelangte sie durch Zufall an ein Zeugnis des Waisenstifts Siegburg für einen Werner von Sanden. Dieses beflügelte sie wieder dazu, als Mann unter dem Namen Werner von Sanden eine neue Tätigkeit aufzunehmen. Sie bewarb sich bei der Witwe des Hauptmanns von Rosenzweig in Harzburg bei Braunschweig um eine Stelle als Hausdiener und wurde angenommen. Zu einer ihrer liebsten Beschäftigungen, gehörte das Hantieren mit Schusswaffen. Als sie eine Vorderlader Pistole in der Nähe von Gebäuden abfeuerte, wurde sie dafür angeklagt, wobei sowohl ihr Geschlecht, ihr richtiger Name und die Nutzung des falschen Zeugnisses aufflog. Sie erhielt eine Gefängnisstrafe von 10 Tagen und verließ den Ort in Richtung Hannover.
Dort nahm sie im November 1869 noch immer als Mann gekleidet unter dem Namen Bernhard Weiß eine Stelle als Knecht bei dem Bäckermeister Kraske an. Diese Stelle gefiel ihr so wenig, dass es sie kurz darauf schon wieder weiterzog. Während sie an den Rhein gelangte, wurde sie in Hannover wegen des verdachtes auf Diebstahl steckbrieflich gesucht.
Am 19. Juli 1870 trat Otto von Bismarck gegen 2 Uhr nachmittags vor den Reichstag des Norddeutschen Bundes: „Ich teile dem Hohen Hause mit, dass mir der französische Geschäftsträger heute die Kriegserklärung Frankreichs überreicht hat.“ Es war der Beginn des Deutsch-Französischer Krieges, der nach dem Deutsch-Dänischen Krieg (1864) und dem Deutschen Krieg gegen Österreich (1866) der letzte der deutschen Einigungskriege werden sollte.
Berthas entschlossener Geist und ihre Vaterlandsgefühl brachte sie dazu, ohne Bedenken den Entschluss zu fassen, in das Militär einzutreten und für die Verteidigung des Vaterlandes mitzukämpfen. Am 23. Juli 1870 melde sie sich in Andernach zum Eintritt der Reserven beim 7. Rheinischen Infanterie-Regiment Nr. 69 und bat um Einstellung in den Dienst. Hierzu erfand sie eine neue Identität. Anton Bernhard Weiß, im Kanton Schwyz in Maria Einsiedeln geboren, von Beruf Maler.
Der zuständige Offizier des Regiments und Führer des Füsiler-Bataillons, Major von Knobloch, lehnte ihre bitte ab weil sie zu schwach war. Ob der Major vielleicht ihr wahres Geschlecht erkannt hat, ist unbekannt. Trotzdem konnte Bertha eine Einkleidung in die Uniform des 7. Rheinischen Infanterie-Regiment Nr. 69 erschleichen und marschierte am 26. Juli 1870 mit der Reserve nach Saarlouis, wo der Stab und das II. Bataillon des Regiments lagen. Dort angekommen erlernte sie eifrig, was ein Soldat wissen musste, um so schnell wie möglich an der Schlacht Teil zu nehmen. Aber sie scheiterte ausgerechnet an der unzureichenden Fertigkeit am Zündnadelgewehr, mit dem sie sich auch außerhalb des Dienstes stundenlang beschäftigte. Berichten Zufolge wurde sie zur weiteren Ausbildung an das Ersatz-Bataillon, welches mittlerweile nach Ehrenbreitstein verlegt worden war, zurückgeschickt. Nach erfolgreicher Ausbildung drängte sie ihre Vorgesetzten dazu, so schnell wie möglich zum Schlachtfeld zu gelangen. Als sich ihr Wunsch nicht sofort erfüllte, verließ sie am 26. Oktober1870 heimlich das Ersatz-Bataillon in Ehrenbreitstein und ging nach Mainz. Dort wandte sie sich an das Gouvernement-Büro und bat mit der Behauptung als beurlaubter Genesener darum, ihrem Regiment nachgesendet zu werden. Darauf erhielt sie den Befehl, sich bei dem Ersatz-Bataillon in Ehrenbreitstein zu melden. Dieser Befehl brachte sie in große Gefahr. Um diesen Befehl zu umgehen, behauptete sie, zum Ersatz-Bataillon des 1. Ostpreußischen Grenadier-Regiments Kronprinz Nr. 1 zu gehören. Nach dem Hinweis auf ihre Uniform des 7. Rheinischen Infanterie-Regiments Nr. 69 gab sie an, dass ihre Uniform aufgebraucht war und sie deshalb die Uniform des Infanterie-Regiments Nr. 69 erhielt. Sie erhielt daraufhin den Befehl sich nach Königsberg zu begeben und war damit dem Kriegsschauplatz entfernter als je zuvor. Sie erkannte, dass ihr Vorhaben gescheitert war und beschloss nach Ostpreußen zurückzukehren.
Doch die Einsicht währte nur kurz und sie schmiedete einen neuen Plan. Ohne den Feldzug auch nur annähernd erlebt zu haben, wollte sie als Verwundete zurückkehren und die Teilnahme und Pflege, die für diese herrschte, in Anspruch nehmen. Sie schloss sich einem Verwundetentransport an und verschaffte sich Krücken, um authentisch zu wirken und möglichst viel Mitleid zu erregen.
Am 27. Oktober 1870 kam Bertha auf dem Bahnhof in Gotha an. Hier hatte ein Rechtsanwalt seine Hilfe in der freiwilligen Krankenpflege angeboten. Bertha klagte ihm sofort ihr gespieltes schweres Leid, lies sich stützen und wankte umher. Sie hatte Erfolg! Der Rechtsanwalt nahm sie mit in seine Wohnung und pflegte sie liebevoll und teilnehmend. Sie nannte sich nun Fähnrich Bernhard von Weiß und gab an: „Ich bin als Avantageur eingetreten und habe die Schlachten bei Spichern, Mars-la-Tour und Gravelotte mitgemacht. In der letzten Schlacht ging es heiß her, wie Ihnen wohl schon durch die Zeitungen bekannt sein wird. Zuletzt geriet unser Regiment mit einem des Feindes ins Handgemenge; wir stürzten uns auf die feindliche Fahne und es gelang uns nach heißem Kampfe sie in unsere Gewalt zu bekommen, dabei erhielt ich meine Wunden und musste aus dem Getümmel gebracht werden. Ich habe zwei Schüsse im Bein und trage noch einen Gipsverband. In Folge der bewiesenen Tapferkeit ernannte mich Seine königliche Hoheit Prinz Friedrich Karl zum Fähnrich und versprach mir das Eiserne Kreuz zu geben.“ Auf die Nachfrage zu ihrer Familie antwortete sie, dass ihr Vater früher in der Schweiz auf Schloss Wallenberg gelebt hat und nun Beamter in Gumbinnen ist.
Schon am 29. Oktober 1870 verließ sie Gotha wieder und traf am nächsten Tag in Berlin ein. Vor ihrer Abreise kaufte sie sich noch ein Band zum Eisernen Kreuz. Am Anhalter Bahnhof wurde sie durch einen Johanniter abgeholt und im Hotel Weißberg untergebracht. Auch hier ließ sich Bertha als schwerverwundeter Fähnrich von Weiß pflegen. Ebenso schaffte sie es, dass ihr ein Besitzzeugnis zum Eisernen Kreuz ausgestellt wurde. Dem Hotelier erzählte sie, dass sie ihr Kreuz verloren hatte und nur das Band retten konnte. Daraufhin übergab der Hotelier ihr ein Kreuz, welches er vor einer Weile in Zahlung genommen hatte. Sie nahm es dankend an und trug es seitdem.
Über Bertha Weiß erscheinen unzählige Artikel in Tageszeitungen. Berichte, die noch während oder kurz nach dem Krieg erschienen, beschreiben eine andere Geschichte. Bertha soll auf Empfehlung des Hauptmanns von Rosenzweig, der im Infanterie-Regiment 69 diente und bei dem sie als Dienerin arbeitete, in das Regiment eingetreten, die Reife zum Fähnrich erlangt und am Krieg gegen Frankreich teilgenommen haben. Sie soll wirklich verwundet worden sein, das Eiserne Kreuz erhalten haben und zum Grenadier-Regiments Kronprinz Nr. 1 versetzt worden sein. Dies widerlegt sich zum einen durch Berthas Aussagen und Einlassungen in den polizeilichen Ermittlungen, zum anderen dadurch, dass Bertha nur bei der Witwe vom Major arbeite und dieser zudem zeitlebens nicht im Infanterie-Regiment Nr. 69 diente. Allerdings war ein Heinrich von Rosenzweig Kommandeur des Infanterie-Regiments Nr. 28. Wahrscheinlich kommt die Verwechslung daher. Möglich oder sogar sehr wahrscheinlich wäre auch, dass Bertha nach ihrem Scheitern bei der Ausbildung im Infanterie-Regiment Nr. 69 an das Ersatz-Bataillon des Infanterie-Regiments Nr. 28 überwiesen wurde. Spätere ärztliche Untersuchungen widerlegten die von ihr behaupteten Verwundungen.
Ihre Route führte sie weiter nach Königsberg, wo sie sich tatsächlich bei dem Ersatz-Bataillon des 1. Ostpreußischen Grenadier-Regiments Kronprinz Nr. 1 meldete. Sie wurde in die Listen der 12. Kompanie aufgenommen und bis zur vollständigen Genesung beurlaubt. Sie reiste weiter nach Bromberg. Inzwischen flog ihr Schwindel erneut auf und sie wurde in Bromberg angeklagt.
Vor Gericht machte sie einen äußerst positiven und wortgewandten Eindruck. Ihrem zwanghaften Drang in Männerkleidung und dessen Identitäten aufzutreten, schlug eher Mitleid als Verachtung entgegen. Auch der Umstand, dass sie dem Vaterland dienen wollte und sie ernsthaft versucht hat in das Kriegsgebiet zu gelangen, wurden strafmildernd berücksichtigt. Sie wurde daher auf Antrag der Staatsanwaltschaft zu einer Gefängnisstrafe von vier Wochen verurteilt.
Auch nach einem Aufenthalt in Konitz (nördl. Bromberg) wurde sie wegen Diebstahls, Betruges und führen eines falschen Namens zu mehreren Monaten Haft verurteilt. Hier betrat sie in Uniform eines Portepee-Fähnrichs die örtliche Postdirektion und legte Papiere auf den Namen Egbert von Werder vor. Auf dem Bataillonsbüro erklärte sie, der Neffe des berühmten Generals von Werder zu sein und direkt aus Versailles zu kommen, um im Kreis Konitz freiwillige Landstürmer anzuwerben. Im Hotel lieh sie sich Geld von einem anderen Gast, kaufte sich davon eine Taschenuhr und lies darauf v. Werder gravieren um sie als Familienstück vorzuzeigen. Als sie dasselbe im angrenzenden Tuchel probierte, schöpfte man Verdacht, verfolgte sie nach Konitz, wo sie augenblicklich verhaftet wurde.
Gleichzeitig wurde im Februar 1871 wieder von der Staatsanwaltschaft Bromberg nach ihr gefahndet. Sie stand in Verdacht, ihrem Schwager, dem Feldwebel Seliger, seine Uniform, weitere Kleidungs- und Ausrüstungsgegenstände und Wertsachen gestohlen zu haben. Feldwebel Adolph Wilhelm Friedrich Seliger war mit Berthas älteren Schwester Mathilde Maria Wilhelmine (*19.04.1843) verheiratet. Er diente im 4. Pommerschen Infanterie-Regiment von Borcke Nr. 21. Die Staatsanwaltschaft beschrieb Bertha wie folgt: „aufgetreten mit schwarzen Haaren, braunen Augen, großem Munde mit aufgeworfenen Lippen, Gestalt in Frauenkleidern groß und kräftig, in Männerkleidung klein, 5 Fuß groß, untersetzt, deutsch, französisch und etwas englischsprechend.“
Über die sexuelle Orientierung von Bertha ist nichts bekannt. Der einzige Hinweis darauf könnte sein, dass sie in Berlin Arm in Arm mit einem echten Feldwebel gesehen wurde. Dr. med. Albert Moll geht 1897 in seinem Werk „Untersuchungen über die Libido sexualis“ davon aus, dass Bertha durch ihr Verhalten homosexuell gewesen sein muss. Diese Schlussfolgerung sollte wohl nach heutigem Wissensstand, widerlegt sein.
Anscheinend unbeeindruckt vom Urteil bat sie Anfang September 1871 im Kloster der barmherzigen Brüder in Breslau um Einlass und erzählte auch hier ihre Geschichte des verwundeten Fähnrichs von Weiß. Sie nutzte diesmal den Vornamen Otto und legte Papiere mit dem Geburtsort Capellen im Kreis Koblenz vor. Sie wollte sich ganz dem klösterlichen Leben verschreiben und bewarb sich als Novize. Unter der Bedingung Führungsatteste vorzulegen, wurde sie vorerst aufgenommen. Sie teilte sich mit zwei Brüdern ein Zimmer, ohne dass diese ihr wahres Geschlecht entdeckt haben. Ihre Brüste hielt sie unter einem Verband versteckt. Nach sechswöchigem Aufenthalt stieg der Druck die erforderlichen Atteste vorzulegen. Daraufhin verschwand Bertha wieder über Nacht aus dem Kloster, nachdem sie Mitbrüder und Pfleglinge um Geld, Wertsachen und Kleidung bestohlen hatte.
Im August 1872 arbeitete sie als Knecht in der Gemeinde Eichkirch in Württemberg, blieb allerdings nur kurz. Sie bestahl zwei Mitknechte um ihre Kleidung und verschwand. Sie wurde in Mariazell gestellt und in Feldkirch (Voralberg) für einige ihrer Verbrechen bestraft. Danach wurde sie nach Breslau gebracht, wo sie am 25.10.1873 erneut vor Gericht gestellt wurde. Man verurteilte sie zu einem Jahr und drei Monaten Zuchthaus, zwei Jahre Ehrenverlust und Zulässigkeit der Polizeiaufsicht.
Hier in Breslau arbeitete sie nun für 5 Monate als Näherin und Strickerin bis sie ihr Zwang als Mann aufzutreten wieder ereilte und sie mit der Garderobe zweier Kunden verschwand.